Interviews

HOLY MOSES – Wie die Jungfrau zum Kinde – wie Sabina Classen zur Frontfrau wurde

Sie gründeten sich 1980 in Aachen, gelten als Wegbereiter des Thrash-Metal-Genres hier in Deutschland und stehen aktuell mit ihrem neuen Album, getauft auf den Namen „Invisible Queen“, ab Mitte April 2023 am Startblock, die Rede ist von HOLY MOSES. So schön es ist, dass nach neun Jahren des Wartens endlich wieder neues Material ans Licht der Welt kommt, so traurig sind die Fans, denn das insgesamt zwölfte Album der Mannen um Sängerin Sabina Classen soll auch der triumphale Abschluss der Karriere des Quartetts sein. Zu diversen Themen konnten wir die tiefenentspannte und gut gelaunte Frontfrau und den Gitarristen Peter Geltat im Anschluss einer Autogrammstunde im Media Markt Stuhr (bei Bremen) treffen und nach unserem ausführlichen Interview Anfang des Jahres (bitte hier auch das aktuelle Hardline Magazin 57 anschauen und das von Wolfgang Snijders verfasste Interview durchlesen) ihnen einige Fragen „zukommen lassen“ …

Hallo Sabina, hallo Peter, ganz lieben Dank, dass ihr euch noch rasch Zeit genommen habt, dazu unseren Glückwunsch zu einem formidablen Album. Sabina, bevor wir uns den aktuellen Themen widmen, kurz einen Step in deine Vergangenheit. Du bis 1963 zur Welt gekommen, ein Kind der siebziger Jahre. Ich konnte lesen, dass du über deinen Onkel zu Bands wie The Sweet, The Rolling Stones, Jimi Hendrix und Motörhead gekommen bist. Wer hat dich denn am Ende dazu gebracht, mit dem Singen anzufangen?

Sabina Classen: Zum Singen hat mich tatsächlich niemand gebracht, es war vielmehr – und da bin ich ehrlich – ein Unfall. Holy Moses war unsere Schulband, Andy Classen war Mitglied dieser Gruppe und zugleich mein Freund. Ich saß also aus diesem Grund während der Proben meist mit im Raum, so dann auch an jenem Abend, wo die Gruppe den Sänger feuerte, weil dieser in weißen Clogs und Hippie-Klamotten zu den Proben gekommen war. Hintergrund der Trennung war, dass die anderen Mitglieder die Band ernst genommen haben und dieser Auftritt in ihren Augen gar nicht ging. Da ich nun da so rumsaß, hatte Andi mich aufgefordert, mich ans Mikro zu begeben und zu singen. Ich dachte, er macht einen Spaß, ging ans Mikro und grunzte kurz rein. Dieses muss ich wohl so umwerfend gut gemacht haben (lacht), dass ich jetzt, 40 Jahre später, hier sitze und mit dir übers neue Album plaudere. Aber im Ernst, es gab kein Vorbild, es gab nie die Idee von mir, Sängerin einer Metalband zu werden.

Wo wir gerade bei dieser Art des Singens sind, was ja am Ende dein Instrument in der Band ist. In mehreren Interviews haben mir die Musiker verraten, dass sie ohne tägliches Training einrosten würden, wie ist es bei dir, was tust du, um bei Stimme zu bleiben?

Sabina Classen: Durch meinen Beruf als Psychotherapeutin sind meine Stimmbänder durch das permanente Reden eh trainiert. Wenn wir dann im Proberaum sind, dann huste ich in der ersten halben Stunde schon das eine oder andere Mal, das war es dann aber auch. Da ich keine wirkliche Technik beim Growlen habe, benötige ich entsprechend auch kein Training, deswegen höre ich mich bei Live-Gigs auch ab und an unterschiedlich an.

Wenn man sich die Bio der Band Holy Moses durchliest, fallen einem die doch häufigen Personalwechsel in allen Bereichen außer dem Gesang auf. Hast du eine Erklärung, warum es kaum eine Dekade gab, wo es ein stabiles Lineup gegeben hat?

Sabina Classen: Als wir angefangen haben, gingen wir noch zur Schule, allein deswegen sind in den ersten Jahren die Wechsel zu erklären. Es fing der eine an zu studieren, ein anderer wanderte nach Thailand aus, andere gründeten eine Familie. Zwischendurch hatten wir dann auch Mitglieder, die dachten, dass sie bei Metallica eingestiegen sind. Wir hatten für unser Genre schon eine gewisse Größe in den achtziger Jahren erreicht, wo wir dann zwischendurch auch eine Fünfer-Konstellation ausprobierten, aber Metallica (lacht)? Dann gab es in den Jahren danach auch immer wieder die eine oder andere Unstimmigkeit, die sich aber seit zehn bis zwölf Jahren gelöst haben, auch deswegen sind wir seitdem personell konstant.

„…die meisten Songs entstanden tatsächlich oldschool durchs jammen“

Kommen wir zum Album „Invisible Queen“, wer ist im Hause Holy Moses für die Musik, wer für die Texte zuständig?

Sabina Classen / Peter Geltat

Peter Geltat: Die Musik stammt von Thomas und mir, die meisten Songs entstanden tatsächlich oldschool durchs jammen. Erste Ideen hatten wir schon knapp vor Corona gesammelt, dann unterbrach die Pandemie dieses für eine ganze Weile. Nachdem wir uns mit der neuen Situation arrangiert haben, schickten wir uns die Ideen online zu und sind dann entsprechend vorangekommen. Als wir dann die Songs musikalisch „im Kasten“ hatten, stellten wir diese den anderen beiden vor. Nach dem gemeinsamen Abnicken fingen wir an, die Texte zu schreiben, vieles kam da von Sabina. Ich habe das Ganze dann ein wenig in Form gebracht, denn dadurch, dass meine Frau gebürtige Amerikanerin ist und auch ich täglich viel mit Englisch zu tun habe, bin ich vielleicht ein wenig prädestiniert, mich darum zu kümmern.

 „Invisible Queen“ erblickt jetzt, neun Jahre nach „Redefined Mayhem“, das Licht der Welt. Was waren die Gründe, dass es neun lange Jahre gedauert hat, bis die Fans neues Material von dir und den Jungs hören können, was hast du, was habt ihr in all den Jahren getrieben?

Peter Geltat: Wir haben uns auch tatsächlich ein wenig Zeit gelassen, weil wir keinen zeitlichen Druck hatten. Wie erwähnt, haben wir uns kurz vor Corona aufgerafft und mit neuen Ideen angefangen. Und zwischendurch haben wir immer wieder Live-Gigs absolviert, wenn wir es denn konnten und durften.

Sabina Classen: Wenn man aber ehrlich ist, haben wir uns nach dem letzten Album, wo die Verkaufszahlen nicht wie gewünscht ausgefallen sind, kurzfristig die Sinnfrage gestellt, ob wir überhaupt noch ein neues Album aufnehmen sollen und auch wollen. Denn gerade in den letzten Jahren, mit der ganzen Entwicklung im Bereich Social Media, geht es in eine mehr als unglückliche Richtung, zumindest für uns Künstler. Auf der einen Seite registriert man über 60.000 Klicks, auf der anderen Seite macht man dann den Briefumschlag auf und entnimmt einen Scheck von nicht einmal siebzehn Euro. Heute sitzen wir hier im Media Markt in Stuhr, geben Autogramme auf CDs und Schallplatten, reden mit den Leuten, mit den Fans Face to Face, genau das ist es doch, was Spaß macht … uns zumindest (lacht).

das neuen Album „Invisible Queen“

Meist ist das Album schon einige Wochen vor VÖ fertig, haben sich in den vergangenen Tagen persönliche Favoriten entwickelt?

Sabina Classen: Ich glaube, da hat jeder so seine eigenen Favoriten, bei mir sind’s „Alternative Reality“ und „Invisible Queen“.

Peter Geltat: Bei mir sind „Visions In Red“, „The New Norm“ und „Downfall Of Mankind“ die Favoriten.

Meist werden mehr Songs aufgenommen bzw. kreiert, als am Ende dann auf dem Album sind. Was passiert, gerade in diesem speziellen Fall, wo ihr „Invisible Queen“ als finales Album auserkoren habt, mit diesem Material?

Peter Geltat: Es waren exakt diese zwölf Songs, die auch auf dem Album sind. Am Anfang wollten wir ein Album mit zehn Songs herausbringen. Da wir aber noch zwei weitere hatten, welche wir ebenfalls richtig klasse fanden, ist es nun ein Longplayer mit zwölf Liedern geworden

Apropos letzter Longplayer, warum eigentlich? Ihr habt Klassiker wie „Finished With The Dogs“ (1987), „The New Machine Of Liechtenstein“ (1989), „World Chaos“ (1990) oder „Terminal Terror“ (1991) und mit dem neuen Silberling ein weiteres grandioses Werk aufgenommen, superloyale Fans, warum also dieser Schritt? Oder ist dieser dem Grund deiner eventuellen Doppelbelastung Band/Beruf gestundet? Hauptberuflich bist du eine staatlich anerkannte Heilpraktikerin auf dem Gebiet der Psychotherapie inkl. eigener Praxis.

Sabina Classen: Ich denke, man muss im Leben dankbar sein, und das bin ich! Wir sind als Schülerband damals vor 43 Jahren gestartet, wir haben durch unsere Musik die ganze Welt kennengelernt, dürfen nach all den Jahren ein weiteres Album aufnehmen, für all dieses bin ich unendlich dankbar. Klar kann man das Ganze wie einen Kaugummi in die Länge ziehen, klar würden wir in drei bis vier Jahren noch ein weiteres tolles Album aufnehmen können, aber ich möchte selbst bestimmen, wann ich aufhöre. Wenn die Pandemie nicht gewesen wäre, wäre schon zu unserem 40-jährigen Jubiläum Schluss gewesen. Da dieses 2021 aus bekannten Gründen nicht möglich war, haben wir uns jetzt den nächsten runden Termin herausgepickt, und dieses ist der 27. Dezember 2023, zugleich mein sechzigster Geburtstag.

In den Rückspiegel geschaut, was sind die größten Unterschiede zwischen gestern und heute?

Sabina Classen: Wir hatten das große Glück, einige Sachen erfinden zu können, wir waren sozusagen jeden Tag Entdecker, denn wir hatten ja nicht wie die Jugend von heute, das Internet. Da haben wir zum Beispiel einen Marshall Verstärker im Raum entdeckt, wo gleich die Frage aufkam, wo bekommt man solch ein Teil? Man hat sich vieles aus den Musik-Zeitschriften herausgelesen, wir tauschten damals ja sogar Kassetten, um auf dem neuesten Stand zu bleiben, Spotify war nicht existent. All dieses gibt es heute nicht mehr, über das Internet erfährt man alles, man muss nicht mehr auf Entdecker-Tour gehen.

„Wenn die Aufregung nicht mehr vorhanden wäre, dann würde etwas nicht stimmen“

Letztes Thema Live: Über 40 Jahre Holy Moses sind auch über 40 Jahre Holy Moses „live on stage“, ist man nach all den Jahren noch aufgeregt, wenn es auf die Bühne geht oder ist´s bei dir nach all der Zeit Routine?

Sabina Classen: Wenn die Aufregung nicht mehr vorhanden wäre, dann würde etwas nicht stimmen. Für mich ist ein Konzert ein Austausch von Energien und das Schöne ist doch, dass man vorher nicht weiß, ob’s am Ende so funktioniert, wie man es sich vorstellt. Und entsprechend aufgeregt, angespannt bin ich … immer noch.

Nach all den Jahren, nach all den Alben stelle ich es mir ungeheuer schwer vor, eine Setlist zu kreieren. Wie läuft dieses im Hause Holy Moses?

Peter Geltat: Das Zusammenstellen der Setlist ist auch am Ende eine Teamarbeit. Wir alle stellen Vorschläge zur Diskussion, welche dann kurz diskutiert werden. Es gibt eine gewisse Anzahl an Songs von uns, die in jedem Fall ins Set müssen. Dann schauen wir auch auf die Reihenfolge, welche passen zusammen, welche funktionieren, welche eventuell nicht. Meistens machen das der Thomas, Gerd und ich, Sabina lässt uns da im Prinzip vertrauensvoll freie Hand und schaut dann final noch einmal drüber. Gerade wir, die noch nicht sooo lange in der Band sind, sind daran interessiert, die neuen Songs zu spielen und freuen uns natürlich, wenn die Fans diese wie auch die Klassiker abfeiern.

Ihr habt auf vielen Bühnen dieser Welt gespielt, unter anderem mehrfach in Wacken performt, welche Auftritte, welche Locations sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Sabina Classen: Gerade die Markthalle Hamburg war für uns eine ganz besondere Location. Wenn man in den achtziger Jahren dort spielen konnte, dann hatte man es für einen selbst geschafft. Was kaum noch einer weiß, im Jahr 1986 haben genau dort Metallica zusammen mit Metal Church gespielt und der Gig war tatsächlich nicht ausverkauft, heute unvorstellbar. Neben der Markthalle Hamburg waren aber auch Clubs wie die Zeche in Bochum oder die Music-Hall in Köln auf einem ähnlichen Level. Und nachdem wir 1987 schon in der Markthalle Hamburg gespielt haben, werden wir uns final auch in diesem altehrwürdigen Gebäude von den Fans verabschieden.

An einem Abend, wo bestimmt das eine oder andere Tränchen fließen wird. Sabina, Peter – ganz lieben Dank für eure investierte Zeit, viel Erfolg mit dem neuen und zugleich letzten Album, genießt die Tour, vor allem aber: bleibt gesund!

Text: Alexander Stock