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Das große Interview mit EISBRECHER -> Monstermäßig gut

Es gibt sie seit mittlerweile fast 20 Jahren, die Hallen, die sie bespielen (wenn sie denn dürfen) werden von Tour zu Tour größer, die Alben rein statistisch immer erfolgreicher: Die Gruppe Eisbrecher. Stilistisch der „neuen deutschen Härte“ zuzuordnen, sind des vor allem die beiden Gründungsmitglieder, Sänger Alexander „Alexx“ Wesselsky und Multi-Instrumentalist Noel Pix, die treibenden Kräfte der Band. Nach ihrem ersten Nummer-1 Album „Sturmfahrt (aus dem Jahr 2017) veröffentlicht das Quintett nur wenige Monate nach ihrem Cover-Album „Schicksalsmelodien“ (Oktober 2020) nun Mitte März ihren neuen Silberling „Liebe Macht Monster“. Zu diesem Ereignis konnten wir ausführlich mit Monsieur Pix telefonieren. Lest, was er zu berichten hat ….

Hardline: Hallo Noel, Moin Moin aus Hamburg! Prima, dass es mit einem Termin geklappt hat, vielen Dank für deine Zeit und unseren Glückwunsch zu einem wieder einmal tollen neuen Album. Bevor wir zu diesem kommen, eine kurze Frage zu deiner Person: Du bist im März 1972 als Jochen Seibert in München zur Welt gekommen, musikalisch bist du bekannt als Noel Pix, warum diese Namensänderung und wie kann es zu Noel Pix?

Noel Pix: Hallo Alex, ich danke dir bzw. euch für den Anruf! Vor vielen vielen Jahren, als ich noch jung war, so um 1990 herum, habe musikalisch viel in Richtung House und Techno gemacht. Und irgendwann meinte man zu mir, ob ich mir nicht mal ein Synonym auszusuchen wolle. Und nach ein wenig Überlegung und dem Genuss einiger Kaltgetränke fiel – warum auch immer – meine Entscheidung auf den Namen Noel Pix. Ich drehe mich aber – ich weiß, es ist ein wenig Schizophren – bei beiden Namen um (lach).

HL: In einem Interview aus dem Jahre 2011 hatte dein Kollege und Eisbrecher- Sänger Alexx auf die Frage nach euren Texten geantwortet, „wir nehmen die ganze Welt nicht so ernst.“. Ist dem tatsächlich immer noch so, oder habt ihr diese Sichtweise verändert? Gerade wenn ich den Song „Was Ist Hier Los“ vom letzten Album – nebenbei für mich einer der stärksten Songs von Eisbrecher überhaupt – mir textlich zu Gemüte führe, erkenne ich sehr wohl eine Auseinandersetzung mit dem hier und heute. Themen wie Umwelt, Ungerechtigkeit Arm/Reich, Massentierhaltung, Gewalt, Flüchtlinge etc., werden mehr oder weniger dezent anprangernd.

NP: Der große Kniff ist, tragisches bzw. durchdachtes simpel zu verpacken. Wir bieten gerade bei diesem Song zwei verschiedene Möglichkeiten, sich mit dem Song zu beschäftigen. Auf der einen Seite kann man bei diesem Titel extrem gut feiern und bei Konzerten den Refrain lauthals mitgrölen, auf der anderen Seite kann man sich mit dem Text aber auch gut auseinandersetzten, es werden ja diverse Probleme thematisiert.

Eisbrecher 2021

HL: Euer aktuelles Album „Liebe macht Monster“ konnte ich bislang 1-2-mal anhören, thematisch aufgefallen sind mir dabei die Songs, „FAKK“ und „Dagegen“, bei dem ich ebenfalls den hochgehobenen Zeigefinger erkenne. Habt ihr beim Schreiben der Songs einen Faden oder tobt ihr euch thematisch ohne diesen aus?

JP: Auch hier kann ich im Prinzip die eben gesagten Sätze nur wiederholen. Fakk ist im Prinzip ähnlich wie „Was Ist Hier Los“ zu erklären, die Schreibweise des Songtitels ist unserer Schreibschwäche geschuldet (lach)

HL: Die Songs „Es Lohnt Sich Nicht Ein Mensch Zu Sein“, „Kontrollverlust“, „Leiserdrehen“ und „Es Lebe Der Tod“ rocken extrem und sollten Live die Zuschauer komplett mitziehen, bei unter anderem „Im Guten Im Bösen“ integriert ihr, integrierst du, elektronische Elemente, wie entsteht so ein Song im Hause Eisbrecher? Gibt es erst den Text und dann die Melodie oder genau anders herum? Oder ist es gar von Song zu Song unterschiedlich?

JP: Zu 99 % ist es bei uns immer zuerst die Musik vorhanden, danach kommt dann der Text, was Vor – aber auch Nachteile hat. Manchmal hast du eine großartige Melodie und man bekommt da einfach keinen geeigneten Text zu hin. Dann wandert das bereits fertige Playback wieder in die Schublade und wird vielleicht irgendwann mal wieder Tageslicht erblicken. Über die Jahre hat sich da schon eine stattliche Summe jenseits der fünfzig angesammelt. Aber ein gutes Riff bleibt ein gutes Riff, auch wenn es zum Zeitpunkt X vielleicht nicht entwickelt werden kann.

HL: Wer im Hause Eisbrecher ist für Text, wer für Musik zuständig?

JP: Ich habe hier mein Studio, wo alles produziert wird, das musikalische kommt meist von mir, auch, weil Alex nun kein wirklicher Multi-Instrumentalist ist. Alles Weitere entsteht dann in Gemeinschaftsarbeit, die dann allerdings leicht undemokratisch bei Alex und mir auch schon wieder endet. Dieses Duett hat einen großen Vorteil, es geht bei nur zwei Meinungen einfach um einiges schneller!

HL: Euer Cover-Album ist nur wenige Monate alt, entstand dieses, weil ihr Corona-bedingt nicht touren konntet und eventuell dafür Zeit hattet, oder war dieses langfristig geplant gewesen? Und gerade Stoßgebet, welches ja im Original von Powerwolf ist, sticht aus meiner Sicht ein wenig raus, gerade weil dieser Song halt nicht mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel hat ….

JP: Da hast du absolut recht, bei Stoßgebet hat uns tatsächlich die Band Powerwolf mit der Frage kontaktiert, ob wir nicht Interesse haben, diesen Song zu covern. Und obwohl Powermetal so gar nicht mein Genre ist, ist die Resonanz darauf sehr gut geworden. Zur Reihenfolge der Alben: Eigentlich ist es, was die Alben betrifft, eher andersherum gelaufen. Denn unser Studio-Album war ja vom VÖ viel früher geplant, da hat uns – wie bei vielen anderen Bands – die Pandemie einen großen Strich durch die Rechnung gemacht. Seit Frühjahr ging Auftritts-technisch ja nichts mehr, und wenn man ein Album herausbringt, ist das größte Marketing-Tool eine begleitende Tour und Festival-Auftritte. Da uns diese Möglichkeit genommen wurde und wir uns tatsächlich seit längerem mit der Idee beschäftigen, ein reines Cover-Album zu kreieren, haben wir dieses dann recht kurzfristig in die Tat umgesetzt. Wir haben so diese spezielle Zeit aus unserer Sicht recht sinnvoll genutzt und dieses Werk fertiggestellt. Klar haben wir einige Songs, wo das Netz drüber spricht, aber da muss man als Musiker mit umgehen können, man kann es nicht recht machen. Wenn nun einige sich über unsere Version von „Out Of The Dark“ (im Original von Falko) aufregen, scheiß der Hund drauf, anderen und uns gefällt‘s (lach). Und nun folgt jetzt einige Monate später das eigentlich vorher geplante Studio-Album. Wenn man ehrlich ist, müssen die Songs ja auch irgendwann mal rausgelassen werden. Klar kann man abwarten und den Termin schieben und schieben, aber irgendwann sind dann zwei Jahre um, wo sich die Anhänger dann ausschließlich über YouTube oder andere Kanäle die vorhandene Musik reinziehen, da wird’s dann jetzt auch Zeit!

HL: Du bist 72er Baujahr, ich persönlich besuche Konzerte seit Anfang der achtziger Jahre. Der größte Unterschied zu den heutigen Gigs – neben den ganzen Möglichkeiten, die Bands heutzutage haben – ist im Publikum zu beobachten. Im Gegensatz zu den 80er,90er und 2000er Jahren besitzt heute fast jeder ein Smartphone, welches bei fast jedem Song zum Einsatz kommt. Bei einem Auftritt, ich glaube es war beim Mera Luna, habt ihr euch mal für 10 Sekunden starr auf die Bühne gestellt, damit jeder ein Foto machen konnte, für mich eine klare Kritik am Umgang mit dem Mobil-Telefon. Wie steht ihr zu diesem Thema, ich kann mir vorstellen, dass das teils sogar extrem nervt, weil im Takt klatschen ist mit einer Hand schwierig (lach)

JP: Ich finde den Umgang mit dem Smartphone in vielen Situationen aktuell viel schlimmer. Die jungen Menschen nutzten gerade in dieser Pandemie das Smartphone einer Studie zu Folge bis zu sechs kompletten Stunden ab Tag, wie krass ist das denn, dass man sich im Prinzip mit fast keinen anderen Sachen mehr beschäftigt. Bei Konzerten finde ich es ein wenig zweischneidig, wenn die ersten Reihen im Kompletten beim Konzert die Smartphones hochreißen, sodass die Fans dahinter nichts mehr sehen können, bin ich dagegen, mal kurz das Handy hochzucken, um was mitzuschneiden, finde ich OK. Wichtig ist halt, dass man das Konzert als tatsächliches Live-Erlebnis mitbekommt und nicht durchgehend filmt.

HL: Ihr hattet euch sehr positiv über das Rockharz Festival geäußert, ein wirklich großartiges, weil kleineres Festival. Im Gegensatz zu Wacken, wo 80.000 Menschen anwesend sind, feiern euch beim Rockharz maximal 15.000 Zuschauer. Ist das eine Menge, wo ihr euch am wohlsten fühlt? Gibt es Festivals, gibt es Lokations, wo ihr besonders gerne performt?

JP: Gerade bei Festivals bis 20000 Menschen fühlen wir uns sehr wohl, was aber nicht heißt, dass größere nicht auch gut funktionieren, aber bei den kleineren ist teils noch ein wenig mehr Charme vorhanden. Zum zweiten Teil der Frage:  Das für uns beeindruckendste Festival für uns war bislang das Hellfest, was für ein monströses Festival mit extrem gemischtem Publikum. Wenn du vor 50.000 Franzosen stehst, die deine Sprache eigentlich nicht sprechen und trotzdem voller Inbrunst „Was Ist Hier Los“ oder „Miststück“ mitsingen, das ist schon … geil!

HL: Ihr habt ausschließlich Song in deutscher Sprache, Alex meinte in einem Interview, dass er zwar gerne und gut Englisch spricht aber nicht so gerne singt. Gerade euer Sound aber eignet sich aus meiner Sicht auch gut für englische Texte, könnte mir vorstellen, dass ihr auch in den europäischen Ländern oder sogar in Übersee die Charts entern könntet. Ist es am Anfang der Arbeiten an einem neuen Album immer mal wieder ein Thema oder im Prinzip von vorneherein ausgeschlossen?

JP: Ausgeschlossen ist erst einmal gar nichts. Bei Schicksalsmelodien war zum Beispiel „All We Are“ von Warlock mit drauf. Im Nachhinein war es dann der einzige englische Song, der auf das Album gekommen war und es hat definitiv seinen guten Grund, warum Alex auf Deutsch singt, mehr sage ich zu diesem Thema nicht (lach). Was ich da tontechnisch leisten musste, war nahe der Unmenschlichkeit (lach), manchmal muss man einfach mal die Wahrheit sagen, Alex und ich kenne uns sooo lange … da darf man das mal rauslassen!

HL: Apropos Charts: Seit dem Album „Sünde“ aus 2008 befindet ihr euch in den vorderen Bereichen der Albumcharts zu finden, „Die Hölle Muss Warten“ und „Schock“ auf 3 bzw.  zwei, zudem mit Gold bedacht, „Sturmfahrt“ sogar auf der Pole-Position. Gabs nach Bekanntgabe ne Riesen-Sause incl. Hangover, ist man stolz, dieses nach den ganzen Jahren endlich mal geschafft zu haben oder tangiert euch das eher peripher?

JP: Natürlich ist es klasse, wenn man es aufs Treppchen schafft, gerade wenn man schon eine lange Zeit dabei ist. Ist es exorbitant wichtig? Nein, das Gefühl ist trotzdem klasse. Wir machen ja nun auch Musik nicht im kleinen Kämmerlein, wir bringen die auch für andere heraus und freuen uns, dass diese auch außerhalb der Band ankommt. Aber ich kann auch gut schlafen, wenn wir mit einem Album auf Platz zehn oder fünf landen. Und ein Abo auf den Spitzenplatz haben ja im Prinzip ja fast nur AC/DC, völlig zurecht wie ich finde. Das neue Album „Power Up“ finde ich saustark, die Band klingt frisch und hat jede Menge Power, auch wenn es sich alles ähnlich anhört. Aber sie haben diesen Sound erfunden, es ist wirklich geiler Scheiß, richtig fett!

HL: Vorletzte Frage: Im Interview aus dem Jahr 2017, hatte Alex berichtet, dass für ihn ein gesunder Ausgleich zum stressigen Tour-Leben sehr wichtig ist. Einfach mal auf eine Bank sitzen, den Reihern beim Fliegen zuschauen, wenn kein Reiher da ist, ein Buch schnappen, dazu eine gute Zigarre und das Leben genießen. Zudem war Tretbootfahren auf dem Lech noch ein Geheimtipp von ihm. Wie ist das bei dir, suchst du ebenfalls die Ruhe und Einsamkeit?

JN: Ich finde den Studio-Alltag bzw., die Entstehungsphase eines Albums weit anstrengender als den Tour-Alltag. Nach der Fertigstellung benötige ich dann erst einmal eine Pause und da hilft mir mein neues Zuhause im Allgäu, Handy aus, raus an die frische Luft, eine digitale Pause, das hilft bei mir am besten … und natürlich Sport.

HL: Nun erblickt Mitte März euer neues Album „Liebe macht Monster“ das Licht der Welt … und dann? Normalerweise würde eine Tour folgen, was aktuell eher unwahrscheinlich ist, was macht Jochen Seibert, was machen Eisbrecher nach dem Veröffentlichungstermin? Schreibt ihr eventuell schon neue Songs, einfach, weil ihr es könnt, einfach, weil Zeit vorhanden ist?

JP: Die Gitarren-Plex die ich besitze, es sind aktuell weit über 100 Stück, werden gerade geordnet, dann sind aktuell Interviews zum Album an der Reihe, das Studio wird ein wenig aufgeräumt und dann genieße ich mal ein wenig die Ruhe. Zu viel davon ist natürlich auch doof, wir hangeln uns jetzt ein wenig mehr schlecht als recht nach vorne, wollen noch ein Video drehen, was ist in diesen Tagen auch nicht das einfachste ist ….

HL: Das glaube ich gerne, Pix – ganz lieben Dank für deine launigen und ehrlichen Worte, viel Erfolg mit dem neuen Album und vor allem, bleib gesund!