Interviews

Unser großes Interview mit Moderatoren-Legende Carlo von Tiedemann: Mit einem Koffer Platten um sechs Uhr morgens von der Kneipe direkt ins Studio!

Im August 2023 hatten wir die Möglichkeit, uns mit Moderatoren-Legende Carlo von Tiedemann in den Büros des NDRs an der Rothenbaumchaussee in Hamburg zu treffen und ausführlich zu schnacken. Ursprünglich war geplant, dieses Interview mit in unsere Dezember-Ausgabe zu nehmen, aus platztechnischen Gründen klappte dieses leider nicht, deswegen unser Gespräch nun auf diesem Weg …

Er ist DIE Moderatoren-Legende im Norden Deutschlands überhaupt: Carlo von Tiedemann. Geboren Ende Oktober 1943 in Stargard / Pommern, absolvierte er zunächst beim Axel-Springer-Verlag eine Ausbildung zum Verlagskaufmann, um dann, nach einem Volontariat bei der Cuxhavener Allgemeinen, dem Job als Journalist beim Hamburger Abendblatt und als Korrespondent für den Springer-Auslandsdienst (SAD) nach Buenos Aires, seit 1971 seine Stimme dem NDR-Radio zu leihen. So ganz nebenbei moderierte er auch jahrelang erfolgreich im Fernsehen (u.a. Show & Co, mit Carlo im ZDF, diverse Shows im NDR und natürlich „Die Aktuelle Schaubude“) und ist seit einigen Jahren auch als Podcaster unterwegs. Und mit eben dieser Legende konnten wir uns, kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausführlich unterhalten …

Carlo – ganz lieben Dank für deine Zeit, es ist eine Ehre für mich. Bevor wir zum Kultmoderator Norddeutschlands schlechthin kommen, einige Fragen zur Person Carlo von Tiedemann. Du gehst, wenn möglich, jeden Tag allein spazieren, warum allein, warum jeden Tag?

Ich brauche tatsächlich die Natur, die Bäume, die Tiere um mich herum. Und um diese zu 100% zu genießen, gehe ich allein spazieren. Denn sind wir doch mal ehrlich, wenn man zu zweit oder dritt unterwegs ist, konzentriert man sich nicht auf die Natur, auf die Bewohner des Waldes, sondern quatscht über viele Dinge. Das alles brauche ich auch, nur nicht morgens, deswegen allein und wenn möglich auch jeden Tag.

Du machst zwei Podcasts – wessen Idee war dieses? Ich frage, weil es ja etwas Neumodisches ist und schon das Schreiben einer E-Mail soll laut eigener Aussage eine Herausforderung für dich sein …

Ich habe mit dem gesamten Social Media Kram aber auch so überhaupt nichts am Hut. Ich kann hier im Sender am PC tatsächlich eine E-Mail öffnen, sollte diese aber keine Telefonnummer des Absenders enthalten, wird es von meiner Seite aus keine Antwort geben, denn ich weiß wirklich nicht, wie das funktioniert. Der eine Podcast „Grauzone“ war bzw. ist eine Idee von Steffi Banowski, bei „Wie war die Woche, Alter?“ hat mich das Erfurter Radio vor zwei Jahren angesprochen. Hier sind wir regelmäßig einmal pro Woche am Start, bei „Grauzone“ ist es gerade aus Zeitgründen ein wenig unregelmäßiger. Der Vorteil bei einem gut gemachten Podcast ist, dass man eine Stunde reden kann, man wird durch nichts unterbrochen und das Schönste bei unserem Podcast ist, die Hörer bleiben tatsächlich dabei!

Ein in den letzten Jahren großes Thema ist die Gendersprache, wie schaut es da bei dir, Kritiker oder Freund?

Das kann ich dir relativ deutlich und genau sagen, ich halte von gendern nichts, überhaupt nichts!

Kommen wir kurz zum Eurovision Song Contest, kurz ESC – dieses Jahr endlich einmal mit einem rockigen Beitrag, die Hamburger von Lord of the Lost waren am Start … und wieder der letzte Platz. Verfolgst du diesen Wettbewerb noch und hast du eine Idee, warum wir uns beständig im Tabellenkeller aufhalten?

Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt keine Erklärung für dieses ständige Desaster. Ich glaube aber fest daran, dass, wenn wir irgendwann mal wieder im Mittelfeld landen sollten, sich die Kripo oder eine ähnliche Institution einschaltet (lacht). Warum wir trotz durchaus guter Songs in der Vergangenheit immer die hinteren Plätze belegen? Ich habe keine Ahnung, woran es liegen kann, gerade die Show in diesem Jahr fand ich fantastisch!

Dem kann ich nur zustimmen! Kommen wir nun mit großen Schritten zum Radio-Kult-Moderator Carlo von Tiedemann. Erste Sendung „Kurier am Mittag“, es herrschte eine Schneekatastrophe und als Gast war eine Reporterlegende Deutschlands Herman Rockmann bei dir. Nach eigener Aussage warst du doch ein wenig nervös, wie nervös tatsächlich?

Ich war nicht wenig nervös, ich war komplett nervös! Ich war sowas von aufgeregt und habe dementsprechend Gas beim Lesen gegeben, in der Abmoderation hieß es dann „Dieses war die erste Sendung von unserem neuen Kollegen Carl Ferdinand von Tiedemann, der Bericht erinnert ein bisschen an eine saubere Heeresberichterstattung.“

Du machst dieses jetzt seit über 50 Jahren, genauer gesagt seit 1971. Beginnen wir mit der leichtesten Frage, wo sind die signifikantesten Unterschiede zwischen den Anfangstagen der siebziger Jahre und dem hier und heute? Konnte man zum Beispiel in den siebziger und achtziger Jahren als Moderator die musikalischen Beiträge noch selbst auswählen?

Ich sage dir mal ehrlich, wie es damals war. An einem Tag im Jahr 1976, den Tag kannst du dir aussuchen, kam ich gegen sechs Uhr morgen recht angedüst aus dem Onkel Pö, mit einem Koffer in der Hand. In diesem Koffer befanden sich viele Singles und einige LPs. Dann kamen wir, Rainer Brüggemann (Gott habe ich selig) und ich, dann beim NDR an, wurden mit kalten Umschlägen und Fußmassagen einigermaßen wieder fit gemacht. Dann fingen wir um neun Uhr morgen an und hatten tatsächlich alle Freiheiten, die wir brauchten. Niemand hat uns reingequatscht, wir konnten AC/DC nach Heino spielen, völlig egal, wir haben dieses als Moderatoren einfach nur zu erklären, zu begleiten. Wir waren die Gestalter der Vormittags-Sendung, heute dagegen ist alles sehr formatiert, es gibt diese Freiheiten, die wir früher hatten, einfach nicht mehr. Die Sendungen sind nicht minutiös durchgeplant, es geht mittlerweile nach Sekunden.

Wenn ich mir die Sendungen noch einmal ins Gedächtnis rufe, waren alle Stilrichtungen vertreten, gerade für unsere Leser interessant, hörst du auch privat Rockmusik?

Klar habe ich diese Art von Musik auch gehört, zudem verlangten auch die Hörer nach diesem Genre. Aber wenn ich vom Sender nach Hause fahre, höre ich ausschließlich klassische Musik. Klassik entspannt mich und bringt mich im positiven Sinn ein wenig runter.

Du hast nicht nur 28 Jahre bei NRD2, dem Sender, mit dem ich dich kennenlernen durfte, moderiert, sondern seit 1997 dann bei NDR 90,3. Warum dieser Wechsel?

Ich bin damals vom leider schon verstorbenen Rüdiger Knott abgeworben worden. Ich hatte bei 90,3 bessere Sendezeiten, was einer der Hauptgründe für meinen Wechsel war. Das Ganze lief aber recht geräuscharm über die Bühne, ohne Stress.

Ein Leben mit Radio, aber ohne Carlo geht eigentlich nicht! Und dann kommt die Info von NDR 90,3, „nun ist Schluss“. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Es ist tatsächlich alles in Ordnung, ich bin, entgegen anderen Meldungen, immer noch aktiv. Ich bin nach wie vor bei 90,3 sonnabends zwischen 10 und 14 Uhr unter dem Motto „Carlo kennt sie alle“ mit einigen Features am Start. Dazu bin ich, und das sage ich mit stolzgeschwellter Brust, der Neue bei NDR-Schlager, moderiere dort eine Sendung, die jeden Sonnabendmorgen zwischen zehn und zwölf Uhr läuft. Es ist zwar ein komplett anderes Genre, als das, über du schreibst, aber ich wette, dass auch eure Leser jeden der gespielten Songs kennt, also einfach mal reinhören (lacht).

Last but definitive not least: Du wirst am 20. Oktober 2023 runde 80 Lenzen alt bzw. jung, du bist im Prinzip der Mick Jagger des NDR! Was ist für diesen Tag oder die Tage danach geplant, wird dieser runde Geburtstag entsprechend gefeiert?

Ich hörte, dass es ein Film über mich gedreht wird, wo Wegbegleiter wie Udo Lindeberg, Peter Maffay und andere über mich berichten. Und dann habe ich noch eine kleine Party für einige hundert Leute in der Ritze geplant. Diese Idee stammt allerdings nicht von mir, denn zwei Hamburger Kaufleute haben sich bei mir gemeldet, um mit mir diese Party zu planen, die dann von den beiden bezahlt wird, sozusagen als Geschenk zum runden Geburtstag.

Dann wünsche ich schon jetzt gutes Gelingen! Letzte Frage, was würdest du Neueinsteigern als Rat mit auf dem Weg geben? Nicht gängeln lassen, sich nicht verformen lassen, nie jemanden kopieren?

Genauso ist es! Bleib wie du bist, lass dich nicht in Rollen der Karriere wegen reindrängen, bleibe bei dir und lass sich nicht verbiegen.

Text: Alexander Stock