Unser großes Interview mit Hans-Timm „Timsen“ Hinrichsen: Ich lebe, denke und träume in Plattdeutsch!
Er ist Gründungsmitglied und immer noch aktiver Musiker von Santiano und veröffentlicht im April 2025 sein neues Solo-Album „Vun Hier“, Hans-Timm „Timsen“ Hinrichsen. Dieses allein ist es schon wert, sich näher mit Timsen, dessen Wurzeln tief in der schleswig-holsteinischen Geest liegen, zu beschäftigen. Aber da sie Songs auf dem neuen Werk in plattdeutscher Sprache aus den Boxen strömen, ist es umso interessanter, sich mit dem Musiker über diverse Themen auszutauschen!

Hans-Timm „Timsen“ Hinrichsen, vielen Dank, dass du dir Zeit für die Leser vom Hardline genommen hast und Glückwunsch zum neuen Album, dieses Mal ausnahmsweise nicht mit deiner Stammband Santiano, sondern solo. Bevor wir zu diesem Longplayer kommen, kurz zu dir. Geboren in Rendsburg, aufgewachsen auf einem Bauernhof in Alt-Bennebek. Mit welcher Musik bist du aufgewachsen und wer hat dich dazu gebracht, in jungen Jahren Instrumente zu lernen?
Meine Mutter hatte zu Kriegszeiten Klavierunterricht genossen, allerdings nicht so, wie man es sich heute vorstellt, ein bis zweimal die Woche, sondern immer, wenn mein Opa Zeit hatte und mit ihr in den nächstgrößeren Ort fuhr, wo die Klavierlehrerin beheimatet war. Aber aus diesem Grund stand halt immer ein Klavier in unserem Haushalt, welches ich dann auch nutze. Als ich sechs Jahre alt war, hat sich meine Schwester eine Akustik-Gitarre gekauft, auf der wir dann alle ein wenig herumgespielt haben. Ein Jahr später legte sich mein ältester Bruder eine E-Gitarre zu, was auch für mich natürlich grandios war. Mit zwölf hatte ich dann ein Schlagzeug und da mein anderer Bruder einen Bass besaß, konnten wir bereits in jungen Jahren ordentlich rumjammen. Unterricht hatte ich nie, habe mir das alles allein beigebracht, es hat alles funktioniert, auch ohne Notenkenntnis (lacht).
Viele kennen dich als Gesicht und Gründungsmitglied der Shanty Rocker von Santiano. Auch wenn man meint, dass es Santiano schon immer gegeben hat, war der Startschuss für die Gruppe tatsächlich erst vor knapp 15 Jahren. Was hat Hans-Timm Hinrichsen künstlerisch in den Jahren davor gemacht, denn „Vun Hier“ ist ja nicht dein erstes Solo-Album? Ich konnte aufschnappen, dass du u.a. Teil der Band Third Teeth“ warst ….
Eine ganze Menge! Seitdem ich die Instrumente spielen konnte, habe ich eigentlich immer Musik gemacht und in Bands gespielt. Mit Anfang zwanzig habe ich ein Bluesband gehabt, mit der ich dann nicht nur einfach so musiziert habe, sondern auch Alben aufgenommen und Konzerte tatsächlich bis in Bundesland Hessen gespielt habe. Dann kam die Phase, wo ich mich entschieden habe, Texte in der Sprache, die ich spreche, in der ich denke, in Plattdütsch, zu schreiben, dieses dann mit der Gruppe Timsen un sin Lüdd. Diese Phase dauerte dann so zirka sechs Jahre, in der wir sogar zwei Alben in den Godewind Studios aufgenommen haben. Und seit 2011 ging es dann weiter mit Santiano, der Rest ist Historie
Das ist musikalisch in jedem Fall eine ganze Menge, die Frage, die da spontan sich bei mir stellt, konntest du von der Musik all die Jahre leben oder hattest du noch einen weiteren Job?
Ich habe halbtags gearbeitet, immer mit dem Blick nach vorn gerichtet, irgendwann doch nur von der Musik leben zu können. Ich hatte aber in all den Jahren nie wirklich Lust gehabt, Tanz bzw. Popmusik zu machen. Ich wollte immer MEIN Ding machen, habe mal Ska-Musik gemacht und häufig Blues-Rock. Als dann mein erstes Kind zur Welt kam, wechselte ich wieder in die Vollzeit, denn so schön es mit der Musik ist, ich hatte nie das Bedürfnis, gerade in der damaligen Situation mit Familie dann Stress auf dem Konto zu haben.

„Vun Hier“ ist ein Album in plattdeutscher Sprache, bist du mit dieser aufgewachsen und war hochdeutsch – wie für deinen Kumpel Wolfgang Niedecken – dann in der Schule auch deine erste Fremdsprache?
Bei mir war das tatsächlich nicht so wie bei Wolfgang. Zu Hause und im Dorf haben wir alle meist Plattdütsch geschnackt, aber das Leben außerhalb der Familie und des Dorfes fand ja durchaus auch in hochdeutsch statt, so hatte ich diesen Stress mit der neuen Sprache nicht (lacht).
Wie ich aus einem anderen Interview entnehmen konnte, planst du das neue Album seit zirka sieben Jahren, ab wann war für dich klar, ein Album komplett in Plattdütsch aufzunehmen und warum? Ich persönlich kann Plattdütsch zwar verstehen, so richtig reden kann ich es nicht und musikalisch bin ich tatsächlich nur in den siebziger Jahren durch die Finkwarder Speeldeel oder Godewind auf plattdeutsches Liedgut getroffen …
Wie schon erwähnt, habe ich ja auch schon früher Alben in Plattdeutsch aufgenommen und so war es für mich völlig klar, dass, wenn ich noch einmal eine Solo-Scheibe aufnehme, dass dieses dann zu 100% wieder in Plattdeutsch sein werden. Ich lebe im Plattdeutschen, ich denk in Platt, ich träum in Platt, last but not least kann ich mich in Plattdeutsch am besten ausdrücken. Und diese sieben Jahre sind dem Grund gestundet, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Man kann zeitlich problemlos texten, man kann Songs auch zu fast jeder Zeit aufnehmen, aber Dinge wie Promotion etc. sollten nicht in Kollusion mit den Terminen mit Santiano haben, deswegen sitzen wir JETZT zusammen (lacht). Musikalisch wollte ich eine Folk-rockige Platte aufnehmen, keinen Alt-Folk-Sound kreieren mit Gitarre, Quetsche und Fidel, sondern eine stilistische Richtung mit Bass, Gitarre und ordentlich Rock in den Adern.
Du hast diverse Gäste aus den verschiedensten Regionen auf deinem Album, wie kamen die Kontakte wie zum Beispiel zu Stefanie Heinzmann oder Dieter „Maschine“ Birr zustande und nach welchen Kriterien hast du ausgewählt? Haben alle gleich zugesagt oder werden einige, aus welchen Gründen auch immer, erst auf einem eventuellen Nachfolger zu hören sein?
Ich wollte gerne ein Album mit Schwerpunkt Plattdeutsch machen, aber immer mit dem Hintergedanken, dass auf dieser Platte Gäste mitwirken sollen, die zwar ein Dialekt haben, allerdings KEIN Plattdeutsch. Dann haben wir im Team diskutiert, mit wem wir das machen könnten … und da fiel recht schnell der Name Wolfgang Niedecken, der zu meiner großen Freude großes Gefallen an dem Projekt gefunden hatte und rasch zugesagt hatte. Nicht alle, die gefragt wurden, haben zugesagt, aber das ist völlig okay. Alle, die dabei waren, haben voll abgeliefert und ich kann von mir sagen, dass es mir wahnsinnig viel Spaß machte.
Das neue Werk hat insgesamt zwölf Songs, wie viele hast du in Gänze aufgenommen, oder war es eine Ziellandung?
Wir hatten wie bei Santiano einen großen Topf von Songideen, von denen es viele dann zu einem Demo geschafft haben. Danach stellte sich aber der sogenannte Demo-Effekt ein, wo man beim Kreieren des Demos merkt, dass da beim Song dann etwas fehlt und so fallen dann einige durchs Raster. Am Ende waren es dann 15/16 fertige Songs, von denen es dann zwölf am Ende aufs Album geschafft haben.
Texte und Musik komplett von dir?
Beides in Zusammenarbeit mit dem Team. Seit Santiano bin ich wirklich Fan von Teamarbeit, habe diese wirklich kennen und schätzen gelernt. Früher habe ich vieles allein gemacht, alle Entscheidungen selbst getroffen, dieses hat sich im Laufe der letzten Jahre geändert, immer offen sein für anderen Leute.

Am 30. April 2025 stellst du das neue Werk im Hamburger Grünspan das erste Mal lieb vor, folgen weitere Termine bis zum Sommer?
Wir sind gerade dabei, den ein oder anderen Termin noch mit hereinzubekommen, da aber bald wieder die Live-Aktivitäten mit Santiano losgehen, wird es dieses Jahr mit Solo-Auftritten eher knapp werden.
Aprospos live, du bist ja mittlerweile ein alter Hase in diesem Geschäft, aber live ist ja immer noch etwas anderes, bist du noch nervös, wenn’s auf die Bühne geht? Und wie lange brauchst du, um wieder einigermaßen runterzukommen?
Also gerade, wenn wir mit etwas neuem auf der Bühne sind, dann bin ich positiv aufgeregt, nicht mehr, nicht weniger. Aber ansonsten bin ich gerade mit Santiano meist vor den Auftritten im Tunnel, auf den Gig konzentriert, sodass ich da nicht wirklich mehr nervös bin. Und zum zweiten Teil der Frage, ich komme sehr rasch wieder auf Normal-Level, weil ich auch nicht derjenige bin, der danach stundenlang an der Hotelbar Vollgas gibt. Ich gehe nach dem Konzert in unsere Geraderobe, dann geht’s zum Abschwitzen, Duschen, vielleicht noch eine Schwarzbrot-Stulle und dann geht’s mit einem guten Buch ab aufs Hotel-Zimmer.
Im Sommer trittst du dann in Wacken zum ersten Mal solo und nicht mit deiner Stammformnation auf. Viele würden sich einen Finger abhacken, um dort aufzutreten, wie kam die Konstellation Timsen vs. Wacken zustande und wirst du auch den ein oder anderen Klassiker von Santiano präsentieren?
Das mit dem Solo-Auftritt ist natürlich auch den Verbindungen aus den letzten Jahren gestundet. Zudem kommen Thomas Jensen und Holger Hübner beide aus Schleswig-Holstein, mit Thomas schnack ich ab und an Plattdüdsch, von daher war der Weg dann zum Auftritt nicht mehr weit.
Wo wir gerade bei Santiano sind, das letzte Album „Doggerland“ ist knapp 1,5 Jahre alt, in der Regel veröffentlicht ihr alle zwei Jahre neues Material, können Fans auf neue Songs gen Ende diesen Jahres hoffen?
Das können sie definitiv, im Oktober 2025 kommt das neue Werk von uns, ab Juni beginnt dann die etwas heißere Promo-Phase ….
Abschließend ein etwas ernsteres Thema, ich habe mitbekommen, dass du dich für den Verein „Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister“ engagierst. Wie ist der Kontakt mit diesem Verband zustande gekommen und wie schaffst du es, mit diesen tragischen Fällen umzugehen?
Ich selbst hatte in meinem eigenen Umfeld zum Glück keinen Trauerfall. Ich bin von dem Verein im Jahr 2019 gefragt worden, ob ich als bekanntestes Gesicht mir vorstellen kann, für diesen Verein als Botschafter tätig zu sein. Gerade Vereine wie „Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister“ haben es nicht ganz so leicht wie zum Beispiel UNICEF, bekanntere Personen an sich binden zu können. Für mich war sofort klar, dass ich dort helfe, die Chemie stimmte von Anfang an. Was mir wichtig zu sagen ist, ich selbst mach keine Trauerbegleitung, sondern ich versuche den Verein für Betroffene bekannter zu machen, zu verbinden und hier und da ein wenig Spenden zusammenzubringen.
Timsen – das wart es in aller Kürze, noch einmal ganz lieben Dank für deine Zeit, viel Erfolg mit deinem Album und viel Spaß bei den anstehenden Live-Gigs! Die letzten Worte gehören dir, Antworten auf nicht gestellte Fragen …
Text: Alexander Stock
Pic-Credit by Leon Schlesselmann